Ginkgo: Herkunft, Erscheinungsbild und pharmazeutische Verwendung

Ginkgo: Herkunft, Erscheinungsbild und pharmazeutische Verwendung
Ginkgo: Herkunft, Erscheinungsbild und pharmazeutische Verwendung
 
Der Ginkgobaum ist ein lebendes Fossil, eine Pflanzenart, deren Evolution vor vielen Millionen Jahren im Erdmittelalter fast zum Stillstand gekommen ist. Andere Namen für den Ginkgo, der manchmal auch Ginko geschrieben wird, sind Fächerblattbaum, Elefantenohrbaum, Entenfußbaum, Silberaprikose oder -pflaume und Goldfruchtbaum. Aus Ginkgo werden seit alters her Heilmittel gewonnen, deren pharmakologische Wirkung teilweise mit tierexperimentellen und klinischen Studien belegt werden konnte. Die Inhaltsstoffe der Ginkgoblätter dienen vor allem zur Behandlung von Durchblutungs- und Hirnleistungsstörungen, wobei Letzteres allerdings kontrovers diskutiert wird.
 
 Ein lebendes Fossil
 
Ginkgo biloba ist der einzige lebende Vertreter der Nacktsamer-Pflanzenordnung Ginkgoales (Ginkgoartige), die schon im Perm, also vor 295—250 Millionen Jahren, belegt ist, vor allem aber im Erdmittelalter verbreitet war, und von denen etwa 20 fossile Arten bekannt sind. Die Gattung Ginkgo selbst ist rund 200 Millionen Jahre alt. Ginkgogewächse gehören — ebenso wie Nadelhölzer — zur Abteilung der Nacktsamer, sie haben also offene, nicht in Fruchtknoten eingeschlossene Samenanlagen (fast alle übrigen höheren Pflanzen wie Blütenpflanzen und Laubbäume gehören zu den Bedecktsamern). Die kegelförmigen, bis zu 30 Meter hohen, stark verzweigten Ginkgobäume zeichnen sich durch ihre fächerförmigen, gabeladrigen, zweilappigen (daher der lateinische Name »biloba«) Blätter aus. Die Blätter sind ledrig und stumpfgrün bis gelblich, stehen an Langtrieben des Baumes schraubig, an Kurztrieben schopfig und werden im Spätherbst, nachdem sie sich goldgelb verfärbt haben, abgeworfen. Die Kurztriebe tragen zudem die Blüten; die Blüte ist von Mai bis Juni. Ginkgo ist zweihäusig: Es gibt männliche und weibliche Bäume. Die weiblichen Blüten haben gestielte, paarig knollige Samenanlagen, die nach der Befruchtung zu pflaumenartigen Früchten mit einer gelbgrünen, fleischigen Schale reifen (der Name »Ginkgo« stammt über das japanische »gingko« vom chinesischen kin-ko ab und bedeutet so viel wie »Goldfruchtbaum«) und einen unangenehmen, buttersäureartigen Geruch verströmen. Die männlichen Blüten sind kätzchenartige Pollensackgruppen. Die Bestäubung besorgt der Wind; die Befruchtung erfolgt Monate später, teilweise erst nach Abfallen der Samenanlagen. Im Jugendstadium sind männliche und weibliche Pflanzen nicht zu unterscheiden. Ginkgo kommt wild nur noch in der südostchinesischen Provinz Zhejiang vor, er überlebte aber in ganz China und Japan durch Kultivierung als heilige Pflanze in Tempelanlagen. In Europa und Amerika wurde er im 18. Jahrhundert als Ziergehölz eingeführt. Er ist sehr schädlingsresistent, kälteunempfindlich und verträgt im Unterschied zu anderen Nacktsamern sogar den sauren Regen der modernen Zivilisation verhältnismäßig gut. Im Fernen Osten wird das weiche Holz für Tischlerarbeiten verwendet und der geröstete Samenkern gegessen. Gingkoblattauszüge dienen als Heilmittel.
 
 Zubereitungen, Inhaltsstoffe und Wirkungen
 
Ginkgopräparate werden erfolgreich eingesetzt bei Durchblutungsstörungen der Beine, des Herzens und des Gehirns. Sie helfen bei Schwindel, Ohrensausen, Kopfschmerzen und Gedächtnisschwäche sowie bei depressiver Verstimmung. Sie werden in Form von Tropfen oder Tabletten dargereicht. Zur Herstellung der Präparate werden die getrockneten Blätter mit einer 60-prozentigen Lösung von Aceton (Dimethylketon) in Wasser extrahiert. Der Auszug wird eingedampft und getrocknet. Die Tropfen werden hergestellt, indem man den Trockenextrakt in 70-prozentigem Äthanol aufnimmt. Das Pulver kann auch mit Füllstoffen (Cellulose, Dextrin, Stärke, Milchzucker, Magnesiumstearat, Siliciumdioxid und anderen neutralen Stoffen) verrieben und zu Tabletten gepresst werden. Getrocknete Ginkgoblätter lassen sich auch zu einem Heiltee aufgießen.
 
Als Wirkstoffe wurden bisher Flavonoide (Flavonolglykoside, Amentoflavon, Bilobetin und Ginkgetin), Proanthocyanidine, Diterpenoide und polycyclische Terpenlactone (Ginkgolide, Bilobalid) erkannt. Hinzu kommen noch verschiedene alkylierte Phenole und Phenolcarbonsäuren, die antioxidative Wirkung besitzen (»Zellschutz«). Sämtliche Ginkgowirkstoffe sind Bitterstoffe. Bei verschreibungspflichtigen Ginkgozubereitungen ist der Wirkstoffgehalt an Flavonglykosiden und Terpenlactonen standardisiert.
 
Ginkgolide und Bilobalid sind von ihrer chemischen Struktur her recht interessante Substanzen. Ginkgolide sind hexacyclische Diterpene; als solche enthalten sie einen in Naturstoffen häufig anzutreffenden, formal aus Isopreneinheiten aufgebauten C20-Grundkörper. Bilobalid ist ein tetracyclisches Sesquiterpen; auch der hier zugrunde liegende C15-Baustein kommt in der Natur oft vor. Die Ginkgoterpene sind aus mehreren dreidimensional miteinander verknüpften Ringen aufgebaut, von denen drei durch intramolekulare Veresterung zustande gekommen sind: Sowohl Ginkgolide als auch Bilobalid sind Trilactone. Das Besondere an diesen Substanzen ist jedoch, dass beide eine tertiär-Butylgruppe enthalten, eine Molekülseitenkette, die in keinem anderen Naturstoff zu finden ist.
 
Die Inhaltsstoffe von Ginkgo lassen sich seit den 1960er-Jahren auch künstlich erzeugen. Eine der ersten Substanzen, die von dem amerikanischen Chemiker E. J. Corey (* 1928) mithilfe der von ihm entwickelten Methode der Retrosynthese hergestellt wurden, für die er 1990 den Nobelpreis erhielt, war das Ginkgolid B. Die Synthese von Naturstoffen ist allerdings nur von wissenschaftlichem Interesse, da die Natur die Substanzen viel preiswerter zur Verfügung stellt, als dies ein Chemielabor vermag.
 
Die genannten Wirkstoffe verbessern die Strömungseigenschaften des Blutes: Sie vermindern die Plasmaviskosität und hemmen die Aggregation (Verklumpung) von Erythrozyten (roten Blutkörperchen) und Thrombozyten (Blutplättchen). Sie wirken auch gefäßerweiternd auf Arterien und Arteriolen und erhöhen den Blutzuckerspiegel, wodurch der Energiestoffwechsel im Gehirn messbar gesteigert wird. Ginkgopräparate finden daher beispielsweise Anwendung zur Behandlung seniler Demenz (Altersgeistesschwäche), zum Beispiel bei Morbus Alzheimer. Ginkgozubereitungen werden auch als Antiasthmatikum verwendet; ferner sagt man ihnen eine Antitumorwirkung nach. Weitere Anwendungen finden Ginkgoextrakte in der Kosmetik zur Hautpflege und in Haarwaschmitteln.
 
 
Ginkgolides. Chemistry, biology, pharmacology and clinical perspectives, herausgegeben von Pierre Braquet. Barcelona 1988.
 
Rökan. Ginkgo biloba EGb 761, herausgegeben von Fritz H. Kemper und Curt Diehm. 2 Bände. Berlin 1991-92.
 
Ginkgo. Ur-Baum und Arzneipflanze. Mythos, Dichtung und Kunst, herausgegeben von Maria Schmid und Helga Schmoll gen. Eisenwerth. Stuttgart 1994.
 Hildebert Wagner und Markus Wiesenauer: Phytotherapie. Phytopharmaka und pflanzliche Homöopathika. Stuttgart 1995.
 Silvia Aulehla: Vorbeugen und heilen mit der Kraft des Ginkgo. Durchblutungsstörungen mit Blattextrakten des chinesischen Wunderbaums nachhaltig behandeln. Berlin 1997.
 Gertrud Scherf: Die Kraft der Heilpflanzen - Ginkgo. München 1998.
 Volker Schulz und Rudolf Hänsel: Rationale Phytotherapie. Berlin 41999.
 Siegfried Unseld: Goethe und der Ginkgo. Ein Baum und ein Gedicht. Frankfurt am Main 71999.

Universal-Lexikon. 2012.

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